Im liberalisierten Strommarkt kann die Verantwortung für die langfristige Versorgungssicherheit nicht an einzelne Akteure delegiert werden. Verantwortlich ist der Markt als Ganzes. Sollte längerfristig ein Versorgungsengpass drohen, braucht es eine Diskussion über das richtige Marktdesign.
Vor der Marktöffnung und der Entflechtung des Übertragungsnetzes waren Rollen und Verantwortlichkeiten hinsichtlich der Versorgungssicherheit unbestritten – sie lagen beim Monopolisten. Doch wer trägt im liberalisierten Markt die Verantwortung? Seit dem befürchteten Stromversorgungsengpass im vergangenen Winter wird diese Frage kontrovers diskutiert. Die Beantwortung verlangt vorab nach einer Definition des Begriffs Versorgungssicherheit. Doch das Gesetz bleibt vage. Zwar erwähnt das StromVG den Begriff und widmet ihm ein Kapitel, doch eine Definition fehlt. Dasselbe gilt für die StromVV. In einer vom BFE 2003 in Auftrag gegebenen Studie «Versorgungssicherheit im Bereich der Elektrizität» findet sich Folgendes: «Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet, wenn jederzeit die gewünschte Menge an Energie mit der erforderlichen Qualität im gesamten Stromnetz zu angemessenen Preisen erhältlich ist.» Die Definition bleibt jedoch so global, dass sich daraus noch keine Verantwortlichkeiten ableiten lassen.
Versorgungssicherheit durch System Security und System Adequacy
Nötig ist daher eine zusätzliche Aufschlüsselung des Begriffs. Eine solche wurde beispielsweise bereits in den 1980er Jahren von CIGRE (International Council on Large Electric Systems) vorgenommen. Danach weist die Versorgungssicherheit (Security of Supply) zwei Dimensionen auf, nämlich kurzfristig die System Security und langfristig die System Adequacy. Damit lassen sich die Besonderheiten des Strommarktes treffend abbilden. Denn kurzfristig verlangt eine stabile Versorgung einen permanenten physischen Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Strommärkte lassen keine Lager oder Warteschlangen zu, die Abweichungen ausgleichen können. Solche Abweichungen können durch unvorhergesehene Kraftwerks- oder Leitungsausfälle oder durch falsch prognostizierte Last oder Produktion entstehen. System Security adressiert daher die (real-time) Aufrechterhaltung der Stabilität des Systems – ENTSO-E bezeichnet dies auch als Operational Security. Die Verantwortung für die System Security liegt im Wesentlichen zentral beim Übertragungsnetzbetreiber. Als sogenannter Transmission System Operator (TSO) ist er nicht nur für den Netzbetrieb, sondern auch für die Systemdienste und die damit verbundene Beschaffung und Vorhaltung von Reserveleistung zuständig.
Im Gegensatz dazu geht es bei der System Adequacy um die langfristige Versorgungssicherheit im Sinne eines ausreichenden Kraftwerksangebots zur Deckung der maximalen Nachfrage. Die System Adequcy weist wiederum zwei Dimensionen auf.
- Generation Adequacy: Ausreichende Verfügbarkeit von Kraftwerkskapazitäten
- Transmission Adequacy: Importmöglichkeiten als Alternative zur Inlandproduktion
Weil Netze und Produktion sowohl komplementär als auch Substitute sind, lässt sich dabei keine scharfe Trennung bei den Verantwortlichkeiten vornehmen: Langfristige Versorgungssicherheit setzt sowohl Netze als auch Kraftwerke voraus. Wie das Verhältnis zwischen Inlandproduktion und Importen längerfristig ist, hängt von zahlreichen Parametern ab, z.B. relative Produktionskosten, grenzüberschreitende Netze, regulatorischer Rahmen oder politische Strategien.